Rede zum Tag gegen Abschiebehaft 2023
Heute ist der 30. August.
An diesem Tag wollen wir an die Verstorbenen in Abschiebehaft erinnern. Abschiebehaft ist tödlich. Darum ist der 30.August auch der Tag gegen Abschiebehaft.
Wir sind hier, damit der Knast weg kommt. Abschiebehaft muss abgeschafft werden. 
Am 30.August sind mehrere Menschen in Abschiebehaft verstorben, ihnen gedenken wir heute:
  • Am 30.08.1983 stürzte sich Kemal Altun nach 13 Monaten im Abschiebeknast am Tag seiner Gerichtsverhandlung aus dem Fenster des Berliner Verwaltungsgerichtes. 
  • Am 30.8.1994 erstickte Kola Bankole in dem Flugzeug, mit dem er abgeschoben werden sollte, an einem Knebel, der ihm vom Bundesgrenzschutz in den Mund gedrückt wurde.
  • Rachid Sbaai starb am 30.8.1999 in der Arrestzelle des Bürener Abschiebegefängnisses an einer Rauchvergiftung, da die Matratze in seiner Einzelzelle Feuer gefangen hatte. Trotz Betätigung des Alarms kamen die Polizisten erst nach 15 Minuten. 
  • Altankhou Dagwasoundels starb am 30.8.2000 beim Versuch sich aus dem sechsten Stock des Krankenhauses Köpenick mit verknotetem Bettzeug abzuseilen. Er war nach vier Wochen in Abschiebehaft in das Krankenhaus eingeliefert worden. Sein Zimmer wurde von zwei Beamten bewacht. 
Menschen sterben in und wegen Abschiebehaft. 
Menschen werden im Abschiebeknast psychisch und physisch krank. Sie fragen uns in fast jeder Beratung: "Warum bin ich hier? Was habe ich angestellt? Wieso darf ich hier nicht weiter leben? Warum werde ich weggesperrt wie ein Verbrecher?"
Diese Menschen werden ihrer Rechte beraubt. Freiheitsentzug ist die höchste Strafe im deutschen Rechtssystem. Aber hier wird Menschen die Freiheit genommen, nur um einen Abschiebewahn und Abschottungsfetisch zu bedienen. 
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat ein Diskussionspapier für schärfere Abschieberegeln vorgelegt. Jetzt sollen sich die Praktiker* innen in die Diskussion einbringen", sagt sie.
Machen wir!
Es gibt kein Rückführungsdefizit. Die meisten Menschen, die hier her kommen, dürfen hier bleiben und wenn nicht, dann nur nicht, weil Behörden sich weigern, ihnen Aufenthalt zu gewähren. Es gibt also ein Anerkennungsdefizit. Lest euch einfach mal Pressemitteilungen des SFR durch zu Menschen, die seit vielen Jahren hier leben, Menschen, die krank sind, Arbeiten, Studieren ... Menschen, die in Diktaturen abgeschoben werden ... Immer wieder wir dbehaupotet: 300.000 Menschen mit Duldung sind zu Unrecht in Deutschland und müssen abgeschoben werden. Falsch! Nur 50.000 davon sind tatsächlich "vollziehbar ausreisepflichtig", wie es so schön heißt. Der Rest hat Duldungen, weil Aufenthaltstitel verwehrt werden.
Ausreisegwahrsam, also das Wegsperren von geplant bis zu 4 Wochen von vollkommen unschuldiger Menschen, geht gar nicht in einem demokratischen Rechtsstaat des 21.Jahrhunderts. Seit Jahren wissen wir von einer bedenklichen Fehlerquote und unschuldig inhaftierten Menschen. Dieser Eingriff in das Leben der Menschen ist absolut unverhältnismäßig. Ausreisegewahrsam bedeutet bisher, dass man Menschen bis zu 10 Tage einsperren konnte, ohne irgend eine Fluchtgefahr oder sonstige Gründe. Theoretisch könnten alle ausreisepflichtigen Menschen 30 Tage nachdem ihre Ausreisefrist abgelaufen ist, darin verhaftet werden. Bei Asyl-Ablehnungen gibt es eine Ausreisefrist zwischen 7 und 30 Tagen. 2 Monate nach Ablehnung des Asylantrages wäre also theroetisch Knast möglich.
Im Übrigen erhöht eine Ausweitung von Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam nicht die Abschiebezahlen. Also undemokratisch und unwirksam. Das sagt sogar die DGAP, eher eine wirtschaftsliberale-konservative Denkfabrik: 
"Den statistischen Beweis, dass mehr Haftplätze tatsächlich zu einer wesentlichen Steigerung der Erfolgsquote bei Abschiebungen führt, bleibt die Politik bislang schuldig"
Wenn man die Zahlen von Abschiebehaftplätzen und Inhaftierungen mit den tatsächlichen Abschiebungen vergleicht, sieht man das deutlich: Abschiebehaft verbessert Abschiebungen gar nicht.
Also auch für die Abschiebefetischist*innenen: Sorry, Abschiebehaft bringt nichts.
Trotzdem tönen Politiker von AfD bis SPD und Medien von Junge Freiheit bis ZEIT: "Wir haben ein Abschiebedefizit, weil die Menschen untertauchen. Wir müssen sie darum einsperren."
Frau Faser, fragen Sie doch die Praktiker*innen: Es gibt zig verschiedenen Gründe, warum Abschiebungen scheitern, nur ein Teil davon liegt daran, dass Menschen zuhause nicht angetroffen werden bei Terminen, die ihnen ja gar nicht angekündigt werden. Sie verstecken sich also gar nicht absichtlich, sie sind vielleicht einfach nicht da.
"Die Gründe für fehlgeschlagene Abschiebungen sind meist unklar. Klar ist aber, dass bei jeder Abschiebung das Risiko von Menschenrechtsverletzungen besteht. Auch weil Polizist*innen heute häufiger körperliche Gewalt einsetzen als noch vor wenigen Jahren"
Wieder ein Zitat von der DGAP!
Als Abschiebehaftkontaktgruppe wünschen wir uns das universelle Menschenrecht der Bewegungsfreiheit. Dann braucht es keine Abschiebeknäste und Abschiebungen mehr. Aber Sie müssen sich nicht einmal mit vielleicht utopischen Gesellschaftsentwürfen auseinandersetzen: In unserem jetzigen System, mit den aktuellen Regelungen ist Abschiebehaft dermaßen untragbar, dass sie abgeschafft gehört.
Amin Schuster, der sächsische Innenminister, steigt in das Faser-Diskussionpaper natürlich gleich ein: Viel zu lasch. Viel zu "miniaturhaft", poltert er. das zeigt eigentlich nur, wie miniaturhaft sein Verständnis von Menschenrechten ist.
Aber nun zu denjenigen, die sich denken: Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, alle Menschen haben Zugang zu ganrantierten Grundrechten:
"Rechtsstaat durchsetzen. Mehr Abschieben" heißt es dann manchmal von Leuten, die wirklich gar keine Ahnung haben. 
Denn schon im Asylverfahren, vor allem aber bei Abschiebehaft werden betroffenen Menschen ganz grundsätzliche rechtsstaatliche Garantien verwehrt. In Asyl- und Aufenthaltssachen werden Klagefristen und Beschwerdemöglichkeiten immer weiter eingeschränkt. Menschen können abgeschoben werden, bevor über eine Klage oder Beschwerde entschieden wurde. 
Bei Abschiebehaft, also Freiheitsentzug, gibt es keine Pflichtanwältin! 
Viele können sich einen Anwalt dann nicht leisten oder wissen gar nicht, dass sie sich noch einen besorgen könnten und das Gericht dann die Anhörun g verschieben müsste. Sagt ihnen ja auch niemand. Die Menschen haben dann keine Möglichkeit, sich effektiv selbst zu verteidigen. 
Das sehen wir an unzähligen 5-Minuten-Anhörungen vor Gericht und Urteilen, die Richter*innen nach nur 3 Minuten fällen, die ein Copy & Paste der Haftanträgen sind.
Der Bundesgerichtshof ist das höchste Gericht Deutschland, das über Abschiebehaft entscheidet. Dort schätze die damalige Bundesrichtigern Barabra Schmidt-Räntsch dass 85-90% der Haftanträge falsch seien. Leider schaffen es die wenigsten Betroffenen von Abschiebehaft vor den Bundesgerichtshof - weil ja meistens keine anwaltliche Vertretung.
Peter Fahlbusch, einer der wenigen Anwälte, die sich auf Abschiebehaft spezialisiert haben, führt seit über 20 Jahren Statistik über seine Fälle und kommt stets auf über 50% falsche Inhaftierungen - also staatlichen Freiheitsberaubungen. Durchschnittlich wurden Menschen 21 Tage gesetzeswidrig ihrer Freiheit beraubt. In jedem anderen Rechtsgebiet, bei Betroffenen mit mehr Rechten, wäre das zu Recht ein riesiger Justizskandal. Hier interessiert es herzlich wenig.
Und Faeser faselt von Vollzugsdefizit? Rechtsstaatsdefizit! 
Die Stärke des Rechtsstaat zeigt sich daran, wie er die Schwächsten behandelt, die Ausgestoßenen, die Entrechteten. Das Ergebnis sieht leider schlecht aus in Deutschland.
Wieso glauben Politiker*innen aller Parteien, dass sie AfD Politik kopieren müssen, um erfolgreich zu sein? Wie wäre es damit, Menschen von sozialdemokratischen, grünen, sozialistischen, liberalen, sogar konservativen Werten zu überzeugen? 
 
Nazis haben ein Problem mit gesellschaftlicher Vielfalt und Migration. Politiker*innen der anderen Parteien machen aus diesem völkischen Fetisch ein allgemeines politisches Problem. Was dadurch erreicht wird, ist noch mehr Gewalt gegen geflüchtete Menschen, Angst und Frust bei Menschen ohne sicheren Aufenthalt und ihren Unterstützer*innen. 

 

Wir hätten da mal einen kleinen Lösungsvorschlag: Weg mit euren Diskussionspapieren und "Reformen". Abolitionismus ist hier die beste Wahl. Abschaffen! 
Schafft Abschiebehaft ab und schafft Abschiebungen gleich mit ab!
Was dann passiert?
  • weniger Freiheitsberaubungen durch den Staat
  • weniger Kindeswohlgefährdungen bei brutalen Abschiebungen
  • weniger Polizeigewalt
  • weniger Verstöße gegen den grundrechtlichen Schutz der Wohnung Art. 13 GG, den Schutz der Familie Art. 6 GG, rechtsstaatliche Verfahrensgarantien nach Art. 103 und 104 GG.
  •  mehr Rechtsstaat und Demokratie, mehr Achtung von Würde und Rechte der Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, mehr Anerkennung als Einwanderungsland...und ein Schritt in Richtung: Gleiche Rechte für Alle. Bewegungsfreiheit
Also wäre eigentlich ganz einfach und logisch aber wir machen uns nichts vor: Ohne Druck wird das nicht passieren. Und bis der Knast und Abschiebungen per se abgeschafft sind, brauchen die Menschen im Abschiebeknast unsere Unterstützung. 
Darum bemühen wir uns stetig um Zugang zum Knast, damit wir die Menschen beraten, ihnen ihre Situation erklären, Haftbeschwerde einlegen, Anwält*innen organisieren, Angehörige kontaktieren können. Aber auch Kontakte nach der Abschiebung vermitteln können. 
Klar ist auch: Die meisten Inhaftiertenkriegen wir nicht raus, sie werden abgeschoben.
Warum machen wir dann den ganzen Mist?
Wir wollen damit den einzelnen helfen, sich zu wehren gegen den Staat. Viele sagen uns, dass sie sehr erleichtert sind, dass sie nicht ganz alleine sind, dass jemand mit ihnen dieses Gefühl der Ungerechtigkeit teilt. 
Wir wollen auch den Ausländerbehörden Stress machenw egen ihrer miesen unrechtsstaatlichen Haftanträgen. Wir wollen die Gerichte erziehen, damit sie ihren Job ordentlich machen. Wir wollen ihnen allen Inhaftierungen so schwer und teuer wie möglich machen. Wir wollen ihnen die Abschiebehaft so richtig madig machen. 
Aber es braucht mehr öffentlichen und gesellschaftlichen Druck: Denn Abschiebehaft wird durchgeführt und sogar ausgeweitet, obwohl sie sauteuer und ineffektiv ist. 
Es ist okay zu sagen: "Nein, ich geh nicht in den Knast rein, berate und spiel dadurch irgendwie so ein bisschen mit.". Wir kennen dieses Dilemma und dieses dumme Gefühl: Wir lehnend as System ab und sind doch Teil dabon. Aber wir sehen es für uns als notwendig und hilfreich an. Es gibt aber glücklicherweise daneben noch viele andere Möglichkeiten, dafür zu kämpfen, dass Abschiebehaft und Abschiebungen abgeschafft werden. Abes es reicht nicht, einfach nur so dagegen zu sein.
Werdet und bleibt aktiv!