Dresden. 04.08.2021

 

Sehr geehrter Herr Staatsminister, sehr geehrte Frau Präsidentin,


wir, die Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden, haben lange mit uns gerungen, wie wir mit dem Fall
von Ahmad F. umgehen sollen. Ahmad F. ist dabei ein Alias, da wir uns entschieden haben, dieses
Schreiben in einer Pressemitteilung zwei Tage nach Versand dieser Briefe zu veröffentlichen. Damit Sie nachvollziehen können, über welchen Menschen wir konkret sprechen, verweisen wir auf die Drs. 7/6609 und Drs. 7/6848. Wir möchten Ihnen gern die folgenden Umstände zu seinem Fall darlegen, da sich an ihnen wie in einem Brennglas die strukturelle Gewalt, die Abschiebehaft bedeutet, darlegt.
Darüber hinaus zeigt sich an seinem Fall aber auch die, wir können das nicht anders benennen, Rücksichtslosigkeit, mit der sächsische Behörden mit ihm umgegangen sind.
Wir bitten Sie, sich die aus unserer Sicht geschilderten, untenstehenden Vorgänge durchzulesen. Wir haben uns um eine analytische Aufarbeitung bemüht. Wir schließen nicht mit Schlussfolgerungen oderForderungen, wie hier hätte „besser“ vorgegangen werden können. Für uns ist klar, dass Ahmad F. nie hätte inhaftiert werden dürfen. Das ist für uns die einzig mögliche Schlussfolgerung. Wir gehen davon aus, dass Ihnen beiden in Ihren Funktionen nicht alle Details bekannt sind, die zu der Abschiebehafteinrichtung Dresden offenbar werden. Unser Anliegen ist es deshalb, Ihnen dies anhand des Falls von F. schriftlich darzulegen und betonen, dass sich hier lediglich Aspekte häufen, die wir in mehreren Einzelfällen seit Beginn unserer Beratungstätigkeit im Dezember 2018 beobachten konnten.

 

Mit freundlichen Grüßen,
Toni Kreischen für die Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden


Die psychische Vorbelastung von F. war der Landesdirektion Sachsen bekannt
Für Ahmad F. war es nicht der erste Aufenthalt in der Abschiebehaft Dresden. Bereits im Januar war er dort inhaftiert und wurde schlussendlich entlassen, da der geplante Sammelcharter abgesagt wurde.
Der Abschiebehaftkontaktgruppe liegt ein psychologisches Gutachten vor, das die Verschlechterung seiner psychischen und körperlichen Symptome im Frühjahr 2021 auf die Zeit in der Abschiebehaft zurückführt. Es ist unstrittig, dass der Landesdirektion Sachsen die psychische Vorbelastung von Ahmad F. bekannt war. Ein E-Mailwechsel zwischen der LDS und der Polizei Sachsen behandelt die Frage, wie lange vor der Abschiebung der geplante Zugriff des Betroffenen erfolgen sollte. Hier heißt es: „Letztlich liegt dieses Vorgehen auch im Interesse der Abschiebungshafteinrichtung nicht über einen längeren Zeitraum mit einem psychisch zumindest nicht unkomplizierten Untergebrachten belastet zu werden.“ Die erneute Inhaftierung bedeutete eine massive Retraumatisierung für Ahmad F. In der Nacht seiner Inhaftierung vom 11. auf den 12. Mai begeht er einen Suizidversuch, so geht es aus einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Juliane Nagel, DIE LINKE (Drs. 7/6614) hervor. Es ist der vierte bekannt gewordene Suizidversuch in der Abschiebehafteinrichtung Dresden seit ihrer Inbetriebnahme im Dezember 2018.
Das Staatsministerium des Innern antwortet auf die Frage, nach welchen Kriterien Haftuntauglichkeit in der Abschiebehafteinrichtung Dresden definiert ist: „Die gesetzliche Wertung des §455 StPO verbietet einen Haftvollzug, von dem nahe Lebensgefahr oder eine schwere Gesundheitsgefahr droht. Dabei muss bei einer solchen Gefahr die Haft aber nicht zwingend unterbrochen werden. Vom Vollzug droht die Gefahr nämlich dann nicht mehr, wenn Mittel zur Abhilfe bestehen.“
Übersetzt heißt das: In der Abschiebehafteinrichtung Dresden dürfen die Menschen nicht sterben. Um das zu verhindern, werden sie notfalls in einem besonders gesicherten Haftraum überwacht. Was mit kranken, suizidgefährdeten Menschen nach ihrer Abschiebung in ein Leben ohne Perspektive geschieht, das geht hier scheinbar nichts weiter an.

 

Eine systematisch verhinderte Eheschließung
Fraglich ist, warum es überhaupt zur Abschiebehaft und zur Abschiebung von Ahmad F. kommen musste. Im März 2019 wenden sich seine Lebensgefährtin und er an die zuständige Ausländerbehörde Bautzen und möchten sich beraten lassen im Hinblick auf eine geplante Eheschließung. Nach diesem Termin entwickelt sich ein E-Mailaustausch zwischen der Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde und der Landesdirektion Sachsen mit dem Ziel, eine Abschiebung in die Wege zu leiten. Auch die Landesdirektion Sachsen hat die Ausländerbehörde Bautzen nicht im Sinne von Art. 6 GG in die Schranken gewiesen.


Vorwürfe der Sedierung in der Haft wie bei der Abschiebung
Ahmad F. ist am 19. Mai im Sammelcharter nach Tunesien abgeschoben worden. Die Abschiebung fand ärztlich begleitet statt. Man setzte Ahmad F. nicht zurechnungsfähig unter medikamentösem Einfluss in Tunesien aus. Infolgedessen wurde ihm bei seiner Ankunft am Flughafen sein kompletter Besitz gestohlen.
Der Abschiebehaftkontaktgruppe berichtet F. bereits während seiner Inhaftierung im Mai, dass man ihm zwangsweise Medikamente verabreichte. Das bestritt das Staatsministerium des Inneren auf Nachfrage der Abgeordneten Nagel (Drs. 7/6609). Hier steht Aussage gegen Aussage. Für die Abschiebehaftkontaktgruppe ist aber nicht ersichtlich, warum F. hier gelogen haben soll.


Vorwürfe der Misshandlung in der Haft
Weiterhin berichtete F. der Kontaktgruppe, Mitarbeiter*innen der Landesdirektion hätten ihn geschlagen und getreten. Auch hier gibt es entgegengesetzte Schilderungen der Ereignisse, beide Seiten haben Strafanzeigen gestellt (vgl. Drs. 7/6609). Unterstrichen sei jedoch, dass es nicht das erste Mal ist, dass Inhaftierte von Gewalt durch Mitarbeiter*innen der Landesdirektion berichten und Strafanzeige erhoben (vgl. Drs. 6/18013, 7/1263).


Begutachtung auf Reisefähigkeit durch Ärzt*innen mit mangelnder Qualifikation
Die abgesagte Abschiebung am 02. Februar 2021 nach Tunesien führte dazu, dass F. seinen ersten Haftaufenthalt durch Entlassung beenden konnte. Ein Blick in seine Akte verrät jedoch: eine Honorarärztin hätte ihn auf Reisefähigkeit untersuchen sollen. Namentlich handelt es sich um Tatjana Mockwitz, durch Recherchen der taz aus dem Jahr 2010 (https://taz.de/Gutachten/!5142753l/) bereits als Abschiebeärztin bekannt. Nur, sie ist Notärztin. Eine fachärztliche, psychiatrische Ausbildung hat sie nicht, die wäre jedoch im Falle von F. notwendig gewesen. Warum die Landesdirektion eine Ärztin ohne entsprechende Qualifizierung bucht, will sie in Antwort auf eine weitere, dritte Anfrage von Nagel nicht beantworten (Drs. 7/6848).

 

Missachtender Umgang mit dem parlamentarischen Fragerecht
Die hier angeführten Drs. 7/6609 und 7/6614 sollen zum Schluss als Beispiel dafür dienen, wie Landesdirektion und Innenministerium die notwendige Transparenz für das geschlossene System Abschiebehaft selbst beim Fragerecht von Parlamentarier*innen vermissen lassen. Zu Drs. 7/6609 über die Vorwürfe der Misshandlung wird durch Nagel in Frage 3 konkret gefragt, ob der Landesdirektion bereits vor der Inhaftierung die psychische Erkrankung von F. bekannt war. Darauf wird keine Antwort gegeben. Dabei war der Behörde genau dieser Umstand nach Blick in die Akte
bekannt. Ergo ist dies nicht anders denn als Verschleierung zu bewerten. In Frage 5 wird auch nach der Qualifikation derjenigen gefragt, die Medikamente ausgeben. Eine Antwort wird darauf schlicht nicht gegeben. In Drs. 7/6848 zu den Abschiebeärzt*innen wird in der Antwort mit keinem Wort Bezug darauf genommen, dass Tatjana Mockwitz als Notärztin eine Begutachtung von F. durchführen sollte, obwohl sie dafür nicht qualifiziert war. Auch hier war die Fragestellung eindeutig. In Antwort auf Frage 3 wirdnicht auf die eigentlichen Gegenstände der Frage - die Schweigepflichtentbindung und den Schutz der Daten - eingegangen. Da in Frage 2 die Weitergabe von medizinischen Dokumenten an die Honorarärzt*innen vom Innnenministerium bestätigt und als "unabdingbar" beschrieben wird, ist davon auszugehen, dass es hierzu irgendeine Regelung geben wird. In Frage 4 und 5 ist das Innenministerium zudem nicht in der Lage, die Buchung von Honorarärzt*innen anzugeben. Dabei handelt es sich hier um Ausgaben des öffentlichen Haushalts. Die Abschiebehaftkontaktgruppe ist sich sicher, dass das Innenministerium in der Lage ist, dem Sächsischen Rechnungshof eine entsprechende Aufschlüsselung vorzulegen. Warum das gegenüber dem Sächsischen Landtag nicht möglich sein soll – also das Organ, das durch den Rechnungshof beraten wird, ja, die Richter*innen des Rechnungshofs per Wahl legitimiert – ist unerklärlich.